So bin ich halt…

Ich habe noch nie gejammert. Ich finde, solange man nichts hat, was einen in der Ausführung des normalen Alltags behindert, gibt es keinen Grund zu jammern. Wenn Männer jammern würde ich ihnen am Liebsten mit meinem Stöckelschuh mit voller Wucht auf den Fuß stampfen und schreien:“ JETZT hast du einen Grund zu jammern!“ Frauen halten da generell eh mehr aus. Ich glaube Männer würden im 4. Schwangerschaftsmonat fast sterben und den Rest nicht überleben. Wenn Frauen sich hinlegen, dann sind sie wirklich krank. Wenn Männer sich hinlegen, wollen sie gepflegt und bemitleidet werden. Bevor ich weiterschreibe hier noch ein kleiner erläuternder Zusatz: Ich rede nicht ganz von Frauen im Allgemeinen- es gibt sie natürlich auch von der jammernden Sorte- nein ich rede von den Frauen, die mich umgeben, die mich hier unterstützen und mir Kraft geben- die in vielerlei Hinsicht sind wie ich und einfach salopp gesagt „Pfeffer im A… haben“. Und ich rede auch nicht von Männern im Allgemeinen- es gibt auch Männer, die nicht jammern- derer zwar sehr wenige, aber es gibt sie- ich rede von denen, die bei ein wenig Kopfweh schon zu starken Schmerzmitteln greifen, anstelle mal mehr zu trinken und von denen, die bei ersten Grippeerscheinungen schon meinen sie müssten ins Bett liegen usw. Frauen wissen von was ich rede. (Zusatz zu Ende)
Auch jetzt momentan geht´s mir immer noch sehr gut. Ich habe mit vielen nervigen Kleinigkeiten zu kämpfen, die zwar meinen Alltag hier belasten, mich aber nicht daran hindern ihn weiter auszuführen. Also bin ich auch immer noch die lebenslustige, fröhliche Person wie man mich kennt. Das wundert viele und ich erwecke damit oftmals den Anschein, als wäre alles paletti. Aber mal im Ernst: Wollt ihr mich über das ständige Blutzucker messen (Fingerpieks), mein Fremdheitsgefühl in den Fingerkuppen, nächtliche Nervenkrämpfe in den Beinen, das andauernde nervtötende Fiepen des Infusomaten, ständiges Vitalwerte messen, Verstopfung/ Durchfall, offene Mundschleimhäute und die Tatsache, dass ich so dünn bin, dass ich beim Sitzen auf meinem Steißbein hocke, jammern hören? Es gibt so viel Schlimmeres (und das wird auch noch auf mich zukommen) als diesen Kleinmist und so bin ich eben immer noch ich hier drin. Ich nehme gut gelaunt den Telefonhörer ab, schreibe gelassene, ungezwungene Mails und höre auch noch den Problemen anderer zu. Das ist keine Fassade von mir. Nachteil ist jedoch, dass WENN ich mal sage, dass es mir nicht gut geht, man denkt ich hätte eben nur so einen Kleinmist, weil der für´s normale Verständnis zu „nicht gut gehen“ zählt. Ich sollte in dem Moment sagen:“ aaaah mir geht´s richtig beschissen/ dreckig/ elend!! Hilf mir, sonst passiert gleich was (d.h. ich bin kurz vor einer Ohnmacht oder so)“. Durch solch eine Krankheit bekommt man ein anderes Verständnis/ Gefühl von und für Schmerzen und Krankheiten. Ich bin also hier immer noch fröhlich und fidel und spiele nichts vor. Dasselbe gilt für meine Erzählungen die Krankheit betreffend: Ich werde oft gefragt, wie ich das so locker und souverän erzählen könne. Wenn ich es erzähle klingt das Ganze wie ein Klacks, schön geschmückt mit netten Anekdoten und ein wenig schwarzem Humor. So ist/ war es natürlich nicht. Das soll nicht heißen, dass ich die Unwahrheit erzählt hätte; ich lasse nur das unendliche Leid, die wahnsinnigen Schmerzen, das Schreien nach Schmerzmitteln, das nicht essen können, weil die Mundschleimhäute komplett offen sind, das regelmäßige punktieren im Rücken- und Knochenmark unter Narkose, die Rückschläge, wenn eine Chemo eine drastische Nebenwirkung hervorruft oder auch hinterlässt (z.B. Organschäden, Entzündungen, Knochenschäden, Nervenstörungen, Herzprobleme usw.), weg. Es ist vorbei und ich hatte es 2 Mal geschafft. Da halte ich mir doch nicht immer die schlechten Zeiten vor Augen, sondern schmücke die wenigen positiven Ereignisse aus dieser Zeit mit meiner Erzählung. Andere würden das vielleicht nicht tun, aber ich bin eine starke Frau, immer positiv denkend und zuversichtlich und das- und nur das- gibt mir die Kraft diese ganze Scheiße hier nochmals durchzustehen.
Dies war heute ein Colette-Exkurs, für diejenigen, die auch mal zwischen den Zeilen lesen wollen.
Heute geht es mir gut (also so lala). Mein Gaumen ist offen und ich kann nur so Flüssigzeugs zu mir nehmen. Ausserdem hab ich einen Herpes-Virus (nein nicht an der Lippe- Gürtelrose ist z.B. auch ein Herpes) und darf deshalb nicht das Zimmer verlassen, weil ich andere immungeschwächte Kinder anstecken könnte. Ich bekomme 3 Antibiotika 3 Mal tgl. im 6-8 Std. Takt und der blöde Infusomat fiept dauernd. Zudem werde ich auch nicht in Ruhe gelassen, weil dadurch permanent eine Schwester reingerannt kommt. Dazu bekomme ich noch Elektrolyte und ein Päckle angereichertes Fett. Mein Hintern ist so flach, dass ich mir mein Steißbein aufscheuere und auch meine Wirbelsäule steht weit vor, sodass ich beim Anlehnen oder Liegen auch schon rote Druckstellen bekomme. DAS ist aber immer noch Kleinmist und auf Colletisch sag ich euch also: Heute ist ein guter Tag und mir geht´s super!
In diesem Sinne allles Liebe,
eure Colette

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2 Antworten zu So bin ich halt…

  1. Lara sagt:

    Liebe Colette,

    ich bewunder Dich für Deine Stärke und die positive Lebenseinstellung. 🙂
    Ich drücke Dir alle Daumen, dass endlich ein Spender gefunden wird.
    Alles Liebe
    Lara

  2. Petra sagt:

    Hallo Colette,
    tja, da wird einem schlagartig wieder bewußt, über welchen Mist wir uns alle aufregen. Ich lag jetzt 2 Wochen mit einer Lungenentzündugn flach u. hab da gejammert. Wir alle können Dich nur bewundern.
    Meine Tochter (7 j) ist vor 2 Jahren an Diabetes erkrankt. Da dachte ich, wir packen das nicht. Aber das klappt mittlerweile mehr oder weniger gut.
    Ich drücke dir gaaaaaaaannnnnnzzzzzz fest die Daumen, daß ein geeigneter Spender gefunden wird. Ich bin bereits typisiert u. mein Mann kommt morgen zu der Aktion.

    Alles erdenklich Gute

    Petra

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