Tag 33

Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin! Ich könnt grad die Welt umarmen. Hier ist so gigantisches Wetter und ich bin jeden Tag draussen. Ganz in der Nähe bei der Messe gibt es eine riesige Parkanlage mit Zoo, Abenteuerspielplatz, vielen Teichen, Biergarten usw. Das ist so liebevoll und toll angelegt und dort verbringen wir gerade die Tage. Alles blüht und grünt und zwitschert und rauscht- ich könnt den ganzen Tag einfach nur auf einer Wiese hocken. Delia liebt diesen Spielplatz und wir nehmen immer Lunchpakete mit und dann geht´s los. Meine Ausgehzeit ist auch perfekt (13-17 Uhr) und völlig ausreichend. Langsam kommt wieder richtig Leben in mich und es wird immer realistischer und greifbarer tatsächlich mal wieder ein „normales“ Leben führen zu können (so normal das bei mir halt sein kann *g*).  Ich bin eingepackt wie eine Mumie, damit keine Sonne an meine Haut kommt, aber momentan ists ja temperaturmäßig noch erträglich. Muss mal noch nach leichten Handschuhen schauen, weil´s die Hände halt doch abkriegen. Ich atme regelrecht auf und werde Stück für Stück wieder ich. Es ist selbst für mich schön zu sehen, wie ich regeneriere und mein altes ich zurückbekomme: keine kalten Schweißausbrüche mehr, ich bin topfit, brauche wieder nur 6 h Schlaf, bin wach und muss sofort aufstehen, sobald es hell wird, ich freu mich auf die Lernerei und bin einfach innerlich wieder hibbelig und hopsig. Als ob ich gerade neu aufgetankt wurde. Wer mich kennt weiß, wenn ich meine Ruhe haben will oder mich ausruhe (und das regelmäßig), dann bin ich krank. Es ist nicht so, dass ich nicht auch gerne Mal ein Buch lese, aber dann mach ich das bewusst und WILL auch meine Ruhe haben. Aber rumhängen und den Hintern nicht hochbekommen- das geht nicht. Da schwirren zu viele Bienen in meinem Hintern 😉
Mit 80 hock ich noch genug rum *g* Jetzt geht´s dann wieder los und die Welt hat mich wohl oder übel wieder hehe.

Bin auch fleißig am Essen bzw. eher wieder am Schlemmen: Pizza Mare, Tomatencremesuppen, Rindercarpaccio, Lachsfilet mit mediterranem Gemüse, Sahnegeschnetzeltes (das war die Zusammenfassung der letzten Tage 😉 ) und so geht´s weiter. Ich schmeck zwar immer noch fast nix, aber es wird langsam besser. Habe heute ein Bitter Lemon getrunken und das hatte nen Geschmacksnerv getroffen, der gestern noch nicht aktiv war. Dauert zwar sicher noch lang, bis sich das bessert, aber witzig ist, dass ich ja weiß, wie´s schmecken sollte. Als ich nach meinem 1. Rückfall gerade wieder laufen konnte, war ich in der Stadt und wollte mal noch kurz vor nem Bus über die Straße springen. Mein Kopf wusste noch, dass ich das mal konnte, also hat er auch das Signal zum Loslaufen gegeben. Dass mein Körper dazu physisch aber noch gar nicht in der Lage ist, hat meine Psyche da nicht miteinkalkuliert und so hat´s mich längs auf die Straße geschlagen. Meine Achillissehne hatte keine Sprungkraft mehr und ich konnte den Bordstein nicht runterspringen, geschweige denn mich dann zum Kurzsprint mit dem Ballen vorne abdrücken. Genauso ist es jetzt gerade mit dem Essen. Ich weiß, wie Pizza schmecken muss und auch wenn ich in Wirklichkeit gar nichts schmecke, ist die Vorstellungskraft davon so groß- allein die Konsistenz des Essens trägt auch schon etwas dazu bei- dass ich tatsächlich glaube die Pizza zu schmecken. Und so habe ich trotzdem Freude an der Schlemmerei.
Aber alles ist jetzt leider auch nicht so perfekt, wie es sich anhört, da heute auch ein Diabetologe bei mir war. Als ich beim letzten Mal die Krankheit endlich überstanden hatte, sah es erst einmal nicht so aus, als ob mein Pankreas wieder funktioniert und genügend Insulin produziert. Also wurde ich auf Spritzen, Blutzuckermessungen, Broteinheiten zählen usw. eingestellt und sollte mich auf ein Leben mit Diabetes gewöhnen. Ich hatte 3 Monate lang Diabetes und hab es keinen einzigen Tag davon geschafft mir die Insulinspritzen zu geben (4 Mal am Tag!) und zusätzlich meine Finger 4-6 Mal zum Blutzucker messen zu stechen. Ich war die meiste Zeit zu Hause, damit meine Mom es machen konnte, hab immer Freunde dabei gehabt, die sich irgendwie überwinden konnten mir die Nadel in den Bauch zu rammen usw. DAS (und nicht einmal die Leukämie) waren die schlimmsten 3 Monate meines Lebens. Hätte man mich vor die Wahl gestellt ob Arm ab oder ein Leben lang Diabetes hätte ich nicht einmal überlegen müssen. Nadeln sind ein rotes Tuch für mich und es graut mir auch schon vor der Zeit, nachdem der Katheter gezogen wurde. Venös oder kapillär (Finger oder Ohr) Blut abnehmen… ich bin ja echt stark und nehm alles hin, aber das ist wirklich das Einzige Thema, bei dem ich kein Hauptkerle bin und flennend zusammenbreche. Jedenfalls steht wenigstens fest, dass sich das wieder normalisieren wird und ich sicher kein Diabetiker werde (klar, anfälliger als andere bin ich schon, aber mit Ernährung kann man ja viel machen). Solange ich aber das Cortison noch bekomme wiird das ein Problem bleiben und um konstantere Zuckerwerte zu haben, wäre die Spritzerei eben am sinnvollsten. Um 13 Uhr darf ich ja eigentlich raus und er kam gerade da. Also haben wir noch darüber gesprochen. Ich war erstens auf Kohlen wg. Delia (sie wartet immer schon) und ausgerechnet dieses Thema, bevor ich gehen möchte und den genialen Tag genießen, war natürlich perfekt. Es ist aber momentan überhaupt noch nichts absehbar und solange kann und möchte ich mich mit dem Thema noch nicht befassen. Hier im Zimmer bekomme ich Insulin über die Leitung und auch der Blutzucker wird so gemessen. Ich weiß noch nicht, wann ich aus dem Zimmer in die Whg. darf und solange das nicht feststeht, muss ich mich noch nicht quälen. Jedes Mal, wenn ich weiß, es kommt wieder die Zeit zum stechen, bin ich schon total fertig und aufgeregt und das muss ich mir hier nicht schon jetzt 4 Mal am Tag antun. Sollte ich natürlich gehen dürfen und das Cortison in Tablettenform nehmen, dann ist das was anderes, weil ich ja nicht nur wg. nem Insulintropf im Krankenhaus bleiben will. Aber bis dahin…
Zumindest kann ich nun wirklich sagen, dass ich durch die Leukämie und den Chemonebenwirkungen echt schon viele Krankheiten „durchgecheckt“ habe: Neurodermitis, Diabetes, Knochennekrose, Rheuma, Pankreatitis, Nervenstörungen, kein Geschmackssinn, Bluthochdruck (im Alter dann), Organschäden jeglicher Form, Haarausfall, Untergewicht, Muskelabbau, chronische(r) Verstopfung/Durchfall, Schluckbeschwerden usw. Ich rechne das mal den positiven Eigenschaften zu, die mich wirklich um Einiges verständnisvoller und einsichtiger Betroffenen gegenüber gemacht haben. Ich habe nun beide Seiten erlebt und bin wirklich froh, dass ich einige dieser Probleme wieder abgeben kann. Klar, meine Schulternekrosen bleiben und auch der Pankreas wird nicht mehr heilen. Zudem weiß ich auch nicht, was für Nebenwirkungen der Bestrahlung in den nächsten Jahren noch auf mich zukommen werden. Aber so schlimm mein 2. Rezidiv und die Transplantation nun auch war, möchte ich all jenen meinen tiefsten Respekt erweisen, die ihr Leben lang mit einer Krankheit behaftet sind und diese in ihren Alltag einbauen und jeden Tag auf´s neue diese große Stärke aufbringen.

So, heute hab ich euch echt zugetextet, aber das lag mir auf dem Herzen.

Morgen geht´s wieder in den Park und ich freu mich schon auf Spaghetti Salmone mit Weißweinsauce *g*

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Eine Antwort zu Tag 33

  1. Carina sagt:

    Liebe Colette,
    es ist so schön, Dich so vor Freude sprühen zu sehen bzw. zu lesen. Macht mich grad auch glücklich. Du steckst regelrecht an!!!!
    Ja, das Wetter ist herrlich und ich finds supi, dass Du so viel und lange raus darfst und Deine kleine Mausi hast.
    Was Du da schreibst, dass Du nach Deinem 1. Rückfall nicht mehr über nen Bordstein springen konntest, obwohl Du wolltest, das kann man sich gar nicht vorstellen. Und das Du nichts mehr schmecken kannst, wußte ich jetzt auch nicht. Oje. Ich kann mir aber vorstellen, dass es total komisch sein muß, zu wissen wie etwas schmeckt, obwohl man es nicht wirklich schmeckt. Aber das kommt ja wieder, gell?
    Also das mit den Spritzen ist so ne Sache. Wenn man davor dermaßen Panik hat, dass man fast in Ohnmacht fällt, wenn auch nur eine in der Nähe ist, dann ist das schon schwierig. Gerade wenn man krank ist. Mir machen sie nichts aus. Aber selbst spritzen wäre auch ein Problem für mich. Diese Überwindung?
    Aber sie sind wichtig. Gerade in Deinem Fall und wenn es absehbar ist, dann Zähne zu und durch. Ja, ich sag das so einfach. Wenn Du mir jetzt sagen würdest, dass ich jeden Tag 4 Mal eine Tarantel in die Hand nehmen müßte, dann würde ich wohl auch lieber nachts über nen Friedhof laufen, bei Vollmond und Nebel und allem was dazugehört. Uahhhh!
    Ich weiß schon, dass man nach den vielen Chemos und Bestrahlung viele Nebenwirkungen bekommt. Aber das sind schon brutal viele. Organschäden? Oje, was denn für welche? Pankreatitis? Knochennekrose? Hä? Das muß ich mal im Internet nachlesen. Aber solange Du wieder gesund wirst, nimmst das gerne in Kauf, gell? Auch wenns Dich quält. Ihr alle, die Ihr so schlimme Krankheiten habt und so viel durchstehen müßt, seid echte Helden!!! Wirklich wahr. Was Ihr alles über Euch ergehen lassen müßt und wieviel Ihr ertragen müßt. Von der psychischen Belastungen ganz zu schweigen. Trotz dem, finde ich es absolute klasse, wie optimistisch Du bist und wieviel Kraft Du Dir selbst gibst. Und auch anderen.
    So, jetzt muß ich raus zu den Kids, bevor sie den Garten auseinanderbauen. Freu mich schon auf Deine nächste Nachricht. Liebe sonnige Grüße vom Bodensee, Deine Carina

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